Forscherinnen der Universität Zürich veröffentlichen eine Untersuchung zur Frage, wie die Dynamik universitärer Karriereverläufe von Geschlecht und Studienfach abhängt. Die SonntagsZeitung aus dem Haus Tamedia instrumentalisiert die Resultate, um den Geschlechterbacklash anzuheizen. männer.ch hat die Originalstudie analysiert und zeigt, wie mit verzerrter Dateninterpretation Geschlechterrollen von gestern zur Normalität von heute stilisiert werden.
«Die meisten Studentinnen wollen lieber einen erfolgreichen Mann als selber Karriere machen». Diesen Titel setzt die SonntagsZeitung über ein Interview mit den Soziologinnen Margit Osterloh und Katja Rost von der Universität Zürich. «Das Resultat verblüfft – und könnte die Debatte um die Gleichstellung verändern», frohlockt die Zeitung. Und die Kommentarspalten pulsieren. Der Tenor: Wir haben’s doch schon immer gewusst – Frauen ist Familie eben wichtiger als Karriere. Das war wohl der Plan.
Nun gibt es ein Problem: Die Interpretation der Daten ist höchst fragwürdig. Und das hat höchstens im Ansatz mit der Studie selbst zu tun. Denn die Studienautorinnen liefern eine sorgfältige Analyse mit fundierter wissenschaftlicher Auseinandersetzung. Klar, manche Einlassungen der Autorinnen wirken irritierend, beispielsweise ihre Aussage, eine Diskriminierung von Frauen an Hochschulen sei nicht feststellbar. Diese Aussage ist aber vor dem theoretischen Unterbau ihrer Forschung zu verstehen: Sie haben die sogenannte Statutsgruppen-Hypothese untersucht, wonach Statushöhere (in patriarchalen Gesellschaften: die Männer) davon profitieren, wenn sie in der Minderheit sind. Sie werden sozusagen zum «Hahn im Korb», während Statusniedere (in patriarchalen Gesellschaften: die Frauen) Gefahr laufen, zu argwöhnisch beobachteten Exotinnen werden, die durch ihren Minderheitenstatus eher behindert als befördert werden. Diese These hat sich in der Untersuchung nicht bestätigt. Deshalb die Aussage von Osterloh und Rost: Eine Diskriminierung von Frauen aufgrund ihrer zahlenmässigen Unterrepräsentation lasse sich keine belegen.
Natürlich ist der Begriff der «Diskriminierung» aber fachlich und umgangssprachlich viel breiter. Er umfasst nicht nur direkte Abwertungen und Behinderungen, sondern auch strukturelle Diskriminierungen – beispielsweise gesellschaftliche Normalitätserwartungen und politische Rahmenbedingungen, die bestehende Ungleichheiten reproduzieren. Während den Studienautorinnen ein politisch unsensibler Umgang mit dem Diskriminierungsbegriff vorzuhalten ist, nutzt Tamedia-Journalist Rico Bandle – zuvor langjähriger Leiter des Kulturressorts bei der Weltwoche – die begriffliche Unschärfe, um die Diskriminierung von Frauen rundweg abzustreiten.
männer.ch hat die Originalstudie analysiert und zeigt anhand dreier Kernaussagen des SonntagsZeitungs-Artikels, wie mit den Forschungsergebnissen die öffentliche Meinung manipuliert wird. Die Absicht ist durchschaubar: Traditionell-konservative Vorstellungen von Geschlecht und Familie sollen normalisiert und modernisiert werden. Denn wenn traditionelle Bilder von Hausfrau und Ernährer sogar «in einem progressiven Umfeld wie der Universität» (Bandle) als Ideal und Norm dargestellt werden, bestärkt das all jene, die an einer hierarchischen Geschlechterordnung und altbackenen Geschlechterstereotypen festhalten wollen.
1. Nicht Frauen sind karrierefaul, sondern Karriere ist unattraktiv.
Was die Studie sagt: 23% aller weiblichen Befragten in «Frauenfächern» und 28% in «Männerfächern» streben eine «Führungsposition mit Personalverantwortung» an. (Fig. 5)
Was Tamedia draus macht: «Der wichtigste Grund für die tröpfelnde Leitung (die empirisch feststellbare Tatsache, dass Frauen in höheren Positionen untervertreten sind, Anm. d. Verf.) sind nicht etwa Diskriminierung oder erschwerte Bedingungen für Mütter, wie oft gesagt wird, sondern dass viele Studentinnen keine oder nur geringe Karriereambitionen haben.»
Was weder Tamedia noch Studie sagen: Männer haben (fast) genauso wenig Lust auf «Führungsposition mit Personalverantwortung»: 25% in «Frauenfächern» (also nur 2% mehr), 35% in «Männerfächern» (7% mehr). (Fig. 5) Es gibt in der Frage der Karriereorientierung also nur einen geringen Geschlechterunterschied, aber einen äusserst bemerkenswerten Umstand: Weniger als ein Drittel der heutigen Studierenden wollen überhaupt noch eine Führungsposition. Naheliegend und aufschlussreich wäre die Frage, woran das liegt? Wir vermuten: Weil immer mehr Männer und Frauen den Begriff «Führungsposition» mit «Verschleissjob» übersetzen. Und sich genau überlegen, welchen Preis sie für Karriere bezahlen wollen. Dieses Ergebnis stünde zumindest im Einklang mit den Forschungsergebnissen, die zeigen, dass für viele junge Menschen heute – egal, ob Mann, Frau oder Divers – Lebensqualität, Familienorientierung und Eigenzeit eine höhere Attraktivität haben als Geld, Stress und Status.
2. Erfolg macht Männer attraktiv – aber nur für eine Minderheit der Frauen
Was die Studie sagt: 45% aller weiblichen Befragten in «Frauenfächern» und 32% in «Männerfächern» wünschen sich Partner:innen mit besseren Karriereaussichten. (Fig. 8)
Was Tamedia draus macht: «Ihr (die weiblichen Befragten, Anm. d. Verf.) Familienbild ist nach wie vor eher konservativ geprägt: Tendenziell bevorzugen sie einen Partner, der älter und erfolgreicher ist als sie.»
Was weder Tamedia noch Studie sagen: Eine deutliche Frauenmehrheit – 55% der weiblichen Befragten in «Frauenfächern» und 68% in «Männerfächern» – wünschen sich einen Partner, der gleich gute oder geringere Karriereaussichten hat. Und umgekehrt: Bei den Männern sind es 33% in «Frauenfächern» und 10% in Männerfächern, die sich eine Frau wünschen, die bessere Karriereaussichten hat. (Fig. 8). Der Geschlechterunterschied schmilzt in dieser Betrachtung zusammen: In «Frauenfächern» sind es nur gerade 12% mehr Frauen als Männer, die sich eine:n Partner:in mit ausgeprägterem Performance-Drang wünsche. In «Männerfächern» ist der Anteil mit 22% grösser. Was die Zahlen, etwas nüchterner betrachtet, aussagen: Wer einen «Männerberuf» studiert, ist tendenziell karriereorientierter und offener für Partner:innen, denen Karriere weniger wichtig ist.
3. Der Mann als Ernährer? Weder für Frauen noch Männer eine attraktive Perspektive
Was die Studie sagt: Eine klare Minderheit – 22% der weiblichen Befragten in «Frauenfächern» und 34% in «Männerfächern» – wünschen sich einen Partner, der nach der Familiengründung Vollzeit arbeitet. Die Vergleichswerte für Männer relativieren weiter: 16% der Männer in «Frauenfächern» (also nur 6% weniger als bei den Frauen) und 27% in «Männerfächern» (7% weniger) wollen eine Partnerin, die nach der Familiengründung Vollzeit arbeitet. (Fig. 9)
Was der Tamedia draus macht: «Wenn Kinder da sind, wollen sie (die weiblichen Befragten, Anm. d. Verf.) Teilzeit arbeiten, der Mann soll Vollzeit für das Haupteinkommen sorgen.»
Was weder Tamedia noch Studie sagen: Nur eine klare Minderheit der Frauen – weniger als ein Drittel – wünscht sich eine traditionelle Aufgabenteilung. Das passt: Denn auch eine Mehrheit der Männer hat keine Lust auf die Ernährerrolle. 74% der Männer in «Frauenfächern» und 55% in «Männerfächern» wollen nach der Familiengründung weniger als 60% arbeiten. Sichtbar wird also weniger der Wunsch der Frauen nach einer Rückkehr zum alten Ernährermodell als vielmehr der Wunsch nach Beziehungs- und Aufgabensymmetrie: Teilzeit-Frauen suchen Teilzeit-Männer
Ein Ergebnis, das in der ganzen Diskussion völlig unbeleuchtet blieb, findet sich im Anhang der Studie (Fig. 6A). Es zeigt, dass sowohl Männer wie Frauen deutlich stärker in stereotypen Bildern von Männern gefangen sind als sie stereotypen Vorstellungen von Frauen nachhängen. Das verweist auf einen Mangel an gesellschaftlicher Reflexion von Männlichkeit – und dürfte der tieferliegende Grund sein, weshalb renommierte Medienhäuser auch heute noch den Backlash herbeischreiben können, ohne einen breiten Aufschrei befürchten zu müssen.
Der Artikel «Die meisten Studentinnen wollen lieber einen erfolgreichen Mann als selber Karriere machen» wurde am 6.05.23 in der SonntagsZeitung publiziert.
Beitragsbild: Manfred Richter
Markus war 2005 bis 2015 Gründungspräsident von männer.ch. Seit 2016 ist er Gesamtleiter von männer.ch und in dieser Funktion auch Leiter des nationalen Programms MenCare Schweiz. Daneben ist er mit seiner Social Affairs GmbH als Organisations- und Strategieberater tätig. Er lebt mit seiner Familie in Zürich.
Les commentaires sont fermés.