Ein Jahr Erstberatungen – wir blicken zurück

 

Seit einem Jahr bietet männer.ch kostenlose telefonische Erstberatungen zu Väter- und Männerfragen an. Dank der Unterstützung des Bundesamtes für Sozialversicherungen können sich ratsuchende Männer bei uns telefonisch beraten lassen. Die Anliegen der Anrufenden sind vielfältig. Doch eines ist eindeutig: Das Angebot stösst auf eine echte Nachfrage und füllt eine Lücke in der bisherigen Beratungslandschaft. Wir finden: Es ist Zeit für eine Zwischenbilanz. Das Interview mit unserem Berater Markus Theunert.

Männerberater Markus Theunert

Lieber Markus, du bist verantwortlich für die Beratungen in der Deutschschweiz und berätst seit einem Jahr regelmässig am Telefon. Wenn du zurückblickst: Braucht es dieses Angebot?

Oh ja, ganz eindeutig. Neu ist ja nicht, dass wir das Telefon abnehmen und ratsuchende Männer so gut wie möglich zu unterstützen versuchen. Neu ist, dass wir dank der finanziellen Unterstützung durch das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) klar kommunizieren können: Wir nehmen uns zumindest eine Stunde Zeit für dich! Seitens BSV ist das Angebot zwar auf Väter beschränkt. In der Realität spielt das aber kaum eine Rolle, weil mindestens 80 Prozent aller Anfragen Väterfragen sind. Viele dieser Männer haben schon eine längere Odyssee hinter sich und sind ziemlich ernüchtert, weil die Angebote der Regelversorgung ihnen nicht das geben können, was sie brauchen. Sie sind dann schon extrem froh und dankbar um unser Ohr – obwohl eine Stunde jetzt auch nicht wirklich viel ist.

Viele dieser Männer haben schon eine längere Odyssee hinter sich und sind ziemlich ernüchtert, weil die Angebote der Regelversorgung ihnen nicht das geben können, was sie brauchen.

Wieso rufen die Männer bei dir an?

Fachlich verstehe ich unsere Beratung als Mischung aus Expertise und Peer-to-Peer-Beratung. Es braucht eigentlich immer Beides: Die Anrufenden haben einerseits ganz konkrete Sachfragen. Die reine Sachinformation finden sie zwar im Internet, aber das nützt ihnen wenig, weil sie Information nicht einordnen können. Da können wir beim Interpretieren und Gewichten helfen. Andererseits suchen fast alle Männer ein Gegenüber, das – es klingt nach Klischee, ist aber trotzdem meine Erfahrung – Ihnen einfach mal zuhört. Ich meine: richtig zuhört. Ohne zu bewerten. Ohne gleich eine Lösung parat zu haben. Ein Gegenüber, das einfach mal mitschwingt und zum Ausdruck bringt: Ich sehe dich und ich versuche ernsthaft, dich zu verstehen. Ich staune, wie wichtig und erleichternd schon ganz einfache Interventionen sind, beispielsweise ein echt gemeintes: «Puh, das ist wirklich eine schwierige Situation. Kein Wunder, dass Sie sich unter Druck fühlen»

Man sagt, es sei für Männer schwierig, sich Hilfe zu holen. Wie zeigt sich das in deiner Beratungstätigkeit?

Unser Angebot ist kostenlos und telefonisch resp. per Zoom. Dass die Ratsuchenden nicht reisen und bezahlen müssen, ist bestimmt eine wichtige Voraussetzung. Es hilft zudem bestimmt auch, dass bereits unser Name männer.ch klar signalisiert: Hier reden wir von Mann zu Mann. Wer jetzt aber denkt, die meisten Männer wollten einfach «abladen», irrt. Es kommt kaum – oder einfach zu Beginn des Gesprächs vor – dass Wut und Frust im Zentrum stehen. Selbst in hässlichen Scheidungskämpfen erlebe ich es fast nie, dass Männer sich respektlos über ihre Partnerinnen auslassen. Motiv Nummer 1 ist die tiefe Sorge um das Wohlergehen der Kinder. Ich staune echt, wie gut den Allermeisten gelingt, ihre eigenen Bedürfnisse von den Bedürfnissen der Kinder zu trennen.

À propos Mann zu Mann: Welche Rolle spielt deiner Meinung nach in den Beratungen die Tatsache, dass du ein Mann bist?

Schon eine Wesentliche. Natürlich nicht im Sinn, dass Männer bessere Berater sind. Aber durchaus im Sinn, dass die Männer, die sich melden, Unterstützung brauchen, sich meist sehr allein gelassen fühlen, Zuspruch suchen – und das in den oft weiblich geprägten Institutionen der Regelversorgung oft nicht finden. In diesem Sinn sehe ich uns auf jeden Fall zumindest als wertvolle Ergänzung in der Beratungslandschaft. Ich bin in den Beratungen oft auch sehr direkt und konfrontativ. Meine Vermutung ist, dass es mir leichter fällt, in kurzer Zeit eine Beziehungsgrundlage von Mann zu Mann zu finden, die das auch aushält.

Als Berater berührt mich immer wieder aufs Neue, wenn ich merke: Jetzt ist was passiert. Jetzt wurde was angestossen.

Melden sich Männer aus allen gesellschaftlichen Milieus bei euch?

Wahrscheinlich erreichen wir so viele Milieus wie sonst kaum mit Angeboten der Männerarbeit. Aber wir dürfen uns auch keinen Illusionen hergeben: Die Mehrheit der Anrufenden sind beruflich und sozial gut integrierte Männer. Auch wenn sich Männer mit Migrationshintergrund melden, sind es Expats mit guter Qualifikation.

Gibt es eine Situation, die dir besonders in Erinnerung geblieben ist?

Da gibt es Etliche… ich weiss gar nicht, ob ich einen Moment besonders hervorheben möchte. Als Berater berührt mich immer wieder aufs Neue, wenn ich merke: Jetzt ist was passiert. Jetzt wurde was angestossen. Jetzt hat sich etwas verändert. Das ist total schön, wenn man einen solchen Impuls geben kann. Immerhin sind das ja meist grosse, existenzielle Themen.

Eine Stunde Erstgespräch ist recht kurz, deine Möglichkeiten als Berater limitiert. Wie gehst du damit um, wenn du merkst, du stösst an eine Grenze?

Generell staune ich, wie viel in einer Stunde Platz hat. An Grenzen stosse ich vor allem dann, wenn Männer mit extrem wenig Ressourcen – beispielsweise ohne Arbeit, ohne guten Deutschkenntnisse oder ohne soziales Netz – anrufen. Dann muss ich eine gute Mischung finden, damit ich meine eigenen Ohnmachtsgefühle zwar wahrnehme, mich aber von ihnen auch nicht lahmlegen lasse. Das ist für mich immer wieder anspruchsvoll. Sehr hilfreich empfinde ich dabei die monatliche Team-Intervisison, in der wir genau solch schwierige Konstellationen genauer anschauen und besprechen, wie wir vielleicht noch anders oder besser damit umgehen könnten.

Die Beratungen stärken mich in der Überzeugung, dass Männer eine tiefe Sehnsucht danach haben, in Verbindung zu sein mit sich, ihren Kindern und Liebsten.

Haben die Beratungen deinen Blick auf Männer verändert?

Hm… (überlegt). Vielleicht eher so: Die Beratungen stärken mich in der Überzeugung, dass Männer eine tiefe Sehnsucht danach haben, in Verbindung zu sein mit sich, ihren Kindern und Liebsten. In fast allen Gesprächen – selbst bei Männern, bei denen ich im ersten Moment denke: Jesses, was ist denn das für Einer?! – wird das irgendwann spürbar.

Man hat das Bild, eine Beratungsperson gibt, die beratene Person nimmt. Was geben die Beratungen dir?

Ganz viel. Schön, dass du das fragst. Einerseits finde ich es toll, weil ich persönlich, aber auch wir als Organisation so näher am Puls und 1:1 konfrontiert sind mit den Fragen, mit denen sich Männer heute in der Schweiz herumschlagen. Ich bekomme auch viel Dankbarkeit zu spüren. Viele melden sich später nochmals und berichten, wie sich ihr Anliegen weiterentwickelt hat.

Wie geht es weiter mit den Erstberatungen? Gibt es Pläne, diese auszubauen?

Das BSV trägt die Kosten für 150 Beratungen pro Jahr. Die Nachfrage ist etwas grösser, aber grad so, dass wir es noch handhaben können. Wir müssen einfach aufpassen, dass wir nicht zuviel Werbung machen… Was wir aber planen: Wir möchten das Beratungsteam auf ehrenamtlicher Basis erweitern. Wer also über Beratungsskills und zwei drei freie Stunden pro Woche verfügt, darf sich supergern mit mir in Verbindung setzen.

Wir suchen ehrenamtliche Beratende! Verfügst du über Beratungsskills und hast ein bisschen freie Zeit? Dann melde dich gerne bei Markus Theunert: theunert@maener.ch

Leiter Betrieb und Kommunikation

Valentin arbeitet seit April 2019 für männer.ch. Er ist verantwortlich für unsere Kommunikationskanäle und kümmert sich um die Mitgliederbetreuung und Administration. Zudem ist er im fachlichen und politischen Bereich tätig. Valentin lebt in Basel.

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