«Feminism WTF» erklärt Feminismus in 90 Minuten. Dicht, gut verständlich und ästhetisch inszeniert.
Eine Gruppe bewaffneter Frauen marschiert auf die Puppe eines Männeroberkörpers los, wie wir sie aus Selbstverteidigungskursen oder dem Kampfsportgym kennen. Als Mann wird es mir im Kinosaal etwas mulmig und ich frage mich innerlich: «Gibt es jetzt auf die Fresse?»
Der martialische Auftakt täuscht. Der Dokumentarfilm «Feminism WTF» setzt den Fokus nicht auf Kampfansagen, sondern auf Wissensvermittlung. Expert*innen erklären, wie die Gesellschaft entlang der Unterscheidung zwischen Frau und Mann organisiert ist und wie verinnerlichte Geschlechterbilder uns alle prägen. Die Ausführungen in den Interviews werden von filmisch inszenierten Beispielen begleitet.
Der Film beleuchtet Fragen und Zusammenhänge, die zu ignorieren sich nur Männer leisten können. Wer im Ausgang nicht ungefragt angefasst wird, muss sich nicht fragen, ob er die enge Hose anzieht oder nicht. Bei Fragen von sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität wirkt derselbe Mechanismus. «Feminism WTF» lenkt den Blick darauf, was uns als Gesellschaft fehlt, wenn die Perspektive derjenigen, die nicht zur gesellschaftlichen Normgruppe gehören, vergessen oder bewusst ignoriert wird. Privilegien sichtbar zu machen, ist eines der Hauptziele des Films.
Er gibt dabei keine einfachen Antworten, sondern differenzierte. So spricht sich beispielsweise die indische Politikwissenschaftlerin Nikita Dhawan dafür aus, beim Thema Privilegien genau hinzusehen: Als Dunkelhäutige, Migrantin und Frau gehört sie zwar in mehrfacher Hinsicht zu diskriminierten Gruppen, ist aber in anderen Bereichen als Uni-Professorin mit geregeltem Einkommen anderen gegenüber privilegiert. Dagegen ist ein weisser, deutscher Mann auf der einen Seite privilegiert. Ist er aber obdachlos und hat eine Behinderung, wird er wahrscheinlich mehr Diskriminierungserfahrungen machen als sie. Mehr analysieren, weniger pauschalisieren lautet die Botschaft.
Nach knapp einer Stunde wendet sich der Film den Männern und jenen Bereichen zu, in denen die patriarchale Gesellschaft auch ihnen zusetzt. Männer als Betroffene von Gewalt, dazu erzogen, Gefühle zu unterdrücken. Jungs, die unter die Räder kommen, wenn sie im Männlichkeitswettbewerb nicht hart genug austeilen (können). Spätestens hier wird klar, dass ein Lehrfilm über Feminismus durchaus auch Männer etwas angeht.
Für alle, die manchmal das Gefühl haben, dieses ganzen Genderthema sei ihnen zu kompliziert und auch nicht so richtig motiviert sind, sich vertieft mit dem Thema zu befassen, übernimmt «Feminism WTF» die Recherchearbeit. Was es braucht, sind 90 Minuten konzentriertes Zuhören, statt sofort mit dem «Ja, aber» zu kommen. Diese Fähigkeit zu trainieren ist immer eine gute Idee. Nicht nur für Männer. Beim Bier nach dem Kino werden wir besser informiert miteinander reden. Das wird der Geschlechterdebatte in jedem Fall gut tun. Und uns persönlich auch.
Die aktuellen Spieldaten von «Feminism WTF» finden sich hier.
Thomas Neumeyer ist seit Februar 2022 Leiter Betrieb und Kommunikation bei männer.ch