Das Stück «Kurze Interviews mit fiesen Männern» rückt sexuelle Gewalt und männliche Dominanz ins Scheinwerferlicht.
Was bleibt hängen von einem Abend, der einem die Objektivierung von Menschen mit voller Wucht ins Gesicht drückt? Bei mir eine Mischung aus Irritation, Empathie, Ratlosigkeit und Distanz. Gespiegelt wird dieses Gefühl in einer der letzten Szenen von «Kurze Interviews mit fiesen Männern», in der ein Paar in gehobener Abendgarderobe nach der Show einer Stripperin verkrampft sitzen bleibt und auf den Tanga schaut, den diese am polierten Lederschuh des Mannes hängen liess.
So explizit wie möglich
Das von Yana Ross inszenierte Stück setzt auf Reizüberflutung, groteske Überzeichnung und ist in jeder Szene so explizit, wie möglich. Die Schauspieler:innen bewegen sich in pastellfarbigen Cowboyoutfits durch eine Bühnenbild, das halb Westernsaloon halb Hollywoodpenthouse ist. Die Dialoge und Monologe handeln von Sex, in seiner dunkelsten Form: nämlich als Machtdemonstration. Das Motiv, das sich durch das Stück zieht, ist der männliche Blick auf Frauen, nicht als Gegenüber, sondern als Objekte, die je nach Situation, verführt oder benutzt werden können. Die hässlichste Seite des Patriarchats, in zig Variationen durchgespielt, in einer überdrehten Inszenierung, die in der Steigerung ins Absurde das Reale und Alltägliche solcher Denkmuster ins Scheinwerfer rücken soll. Mehr «in your face» ist nicht möglich.
Grelle Fraben, schnelle Schnitte
Das von Yana Ross inszenierte Stück setzt auf Reizüberflutung, groteske Überzeichnung und ist in jeder Szene so explizit, wie möglich. Die Schauspieler:innen bewegen sich in pastellfarbigen Cowboyoutfits durch eine Bühnenbild, das halb Westernsaloon halb Hollywoodpenthouse ist. Die Dialoge und Monologe handeln von Sex, in seiner dunkelsten Form: nämlich als Machtdemonstration. Das Motiv, das sich durch das Stück zieht, ist der männliche Blick auf Frauen, nicht als Gegenüber, sondern als Objekte, die je nach Situation, verführt oder benutzt werden können. Die hässlichste Seite des Patriarchats, in zig Variationen durchgespielt, in einer überdrehten Inszenierung, die in der Steigerung ins Absurde das Reale und Alltägliche solcher Denkmuster ins Scheinwerfer rücken soll. Mehr «in your face» ist nicht möglich.
Die erste halbe Stunde wirkt das wie ein MTV-Musikvideo über Sex, Gewalt und Dominanz. Grelle Farben, schnelle Schnitte. Durch das permanente Zuviel bleibe ich als Zuschauer aber seltsam distanziert, obwohl mir völlig bewusst ist, dass die Gewalt, die mir entgegenschlägt, ihre Vorlage in der Realität findet. Verschiedene starke Momente bleiben trotzdem hängen. Zum Beispiel die Talkshow, in der die – natürlich männlichen – Experten mit manischem Eifer scheinobjektive Argumente ins Feld führen, um zu beweisen, dass Feministinnen im tiefsten Innern eben doch nur einen starken Mann wollen, der es ihnen richtig besorgt. Hier wird die Überzeichnung zur Lupe, durch die ich Argumente, Gesten und Selbstgefälligkeiten wiedererkenne, die mir im Alltag häufiger begegnen, als mir lieb ist.
«Und was, wenn ich es wäre? Wenn es mir passiert wäre? Ändert das etwas?»
Stark ist das Stück oft dort, wo es still wird oder sich mehr Zeit gibt. Beklemmend, der auf die Grossleinwand projizierte Moment im Badezimmerspiegel, der zeigt, wie eine Frau ihr Foulard abnimmt, ihre Würgemale am Hals betrachtet und dann ihren Partner und Peiniger umarmt, der sich zu ihr stellt. Gewalt und Geborgenheit. Zuneigung zum Täter. Das Bild dieser Umarmung brennt sich mir ein als Metapher auf all die disfunktionalen Beziehungen, in denen häusliche Gewalt Normalität geworden ist und doch nicht zur Trennung führt.
Das Bild des Opfers im eigenen Kopf
Schwer zu ertragen aber der tiefgehendste Moment ist der immer länger werdende Monolog eines hektisch tanzenden Erzählers, der die These vertritt, dass auch eine brutale Vergewaltigung eine Chance für Wachstum biete, weil das Schlimmste zu überleben, der unwiderlegbare Beweis der eigenen inneren Stärke sein könne. Man beginnt ihn zu hassen, in seinem ständigen «Ich behaupte ja nicht, dass…» und «Ich frage ja nur, ob…». Doch mit raschen Perspektivenwechseln stösst er mich plötzlich auf eigene blinde Flecken. «Und was, wenn ich es wäre? Wenn es mir passiert wäre? Ändert das etwas?» Auch verinnerlichte Bilder, wie ein Opfer auszusehen hat, sind von Stereotypen geprägt.
«Wieviel Verantwortung trägt die Gesellschaft?»
An dieser Stelle im Stück bleibt der schnelle Szenenwechsel aus und der Blick auf die menschliche Finsternis wird gnadenlos scharf gestellt. Das Wissen, dass Menschen – und wenn es um sexualisierte Gewalt geht, meist Männer – in der Lage sind, andere Menschen wie einen Gegenstand zu benutzen und ihnen dadurch die menschliche Würde zu nehmen, verstört.
Wie weiter?
Und hier denke ich nach dem Stück weiter: Wieviel Verantwortung trägt neben dem einzelnen Täter, die von männlichen Dominanzansprüchen geprägte Gesellschaft? Was kann ich, was kann jede:r Einzelne tun, damit Appellationsgerichte es nicht mehr als schuldmildernde Faktoren sehen, wenn ein Vergewaltigungsopfer am Abend des Übergriffs mit einem andern Mann Sex hatte oder danach nicht in Therapie geht? Ohne dieses nachträgliche Nachdenken, bleibt das Stück wohl ein Sturm, der über einen hinwegzieht. Man kann ihm das vorwerfen oder auch nicht.
Die letzten drei Auführungstermine sind am Do 14.4., Sa 16.4. und Di 19.4. in der Schiffbau-Halle Zürich www.schauspielhaus.ch
Thomas Neumeyer ist seit Februar 2022 Leiter Betrieb und Kommunikation bei männer.ch