Im Stück «My Heart Is Full of Na-Na-Na» bringt ein gescheiterter Popsänger einen Vater und seine beiden Söhne wieder näher zusammen.
Nach dem Unfalltod der Mutter fehlt in einer Familie der emotionale Kern, der alles zusammenhält. Zurück bleiben ein depressiver Vater und zwei Brüder, von denen der jüngere versucht, den Alltag aufrecht zu erhalten und der ältere sich vom Vater entfremdet. Wie kann man in einer Krise den Weg zu verschütteten Emotionen finden, wenn man nie gelernt hat, über Gefühle zu sprechen? «My Heart is Full of Na-Na-Na» nimmt diese Fragen auf und entwickelt aus der bedrückenden Ausgangslage ein leichtfüssiges und skurriles Stück, ohne dabei den Tiefgang zu verlieren.
Emotionskatalysator im Glitzerkostüm
Wie gelingt das? Dank einer Art absurdem Superheld der Tränen, der unverhofft in die Wohnung platzt. Tearjerker ist ein peinlicher Popsänger im Glitzerkostüm, der vor zwölf Jahren am Eurovision Song Contest kläglich gescheitert ist. Schusslig, unkonventionell, peinlich und latent suizidal sorgt er für Unordnung und spricht aus, worüber sonst geschwiegen wird. Seine Gabe, die Menschen zu Tränen rühren hat er verloren. Und so ist er als Emotionskatalysator, der dem still verzweifelten Vater und seinen Söhnen das Weinen näherbringen will, genauso unzulänglich, wie diese selbst. Dieser doppelte Boden tut dem Stück gut. Als Zuschauender schämt man sich fremd, lacht über Tearjerker und wird dabei doch sofort von ihm um den Finger gewickelt.
Lass mich in Ruhe!
Im Kontrast zu diesen überzeichneten Momenten ist die Entwicklung der Beziehung des Vaters zu seinen Söhnen realitätsnah in Szene gesetzt. «Das tut weh! Hör auf! Lass mich in Ruhe!» keift er seinen Sohn an, als dieser seine Brandwunde behandeln will. Und während der Eine es nicht wagt, sich dem eigenen Schmerz zu stellen, versucht der Andere schneller erwachsen zu werden, als es ihm gut tut. Dann bricht als Erstes der Ärger durch – die eine Emotion, zu der die drei von der Familie übrig gebliebenen Männer einen Zugang haben. Dazwischen versuchen sie, alles im Griff zu behalten und werden sich dabei eher fremd, statt sich gegenseitig aufzufangen.
«Ich will nur, dass es allen gut geht!» – «Man merkt‘s halt nicht!»
Hier sind wir mitten in den Krisen, in die Männer oft geraten, wenn ihre Welt aus dem Lot gerät. «Ich will nur, dass es allen gut geht!», sagt der Vater verzweifelt zum älteren Sohn, der den Kontakt zu ihm abgebrochen hat. «Man merkt‘s halt nicht!», antwortet dieser. Diese zwei Sätze hallen nach und dürften so manche zerrüttete Vater-Sohn Beziehung auf den Punkt bringen.
Worte finden
So pendelt «My Heart Is Full of Na-Na-Na» zwischen Europop und leisen Tönen, zwischen Trash und Tränen. Und weil es den Figuren dann doch noch gelingt, tastend nach Worten zu finden, ist am Schluss zwar nicht alles gut, aber doch gut genug, um zuversichtlich zu bleiben. Auf dem Sofa vor dem Fernseher finden Vater und Söhne wieder zusammen. Ob auch Tearjerker das Comback auf der grossen Bühne gelingt, sei hier nicht verraten.
Die nächsten Aufführungstermine sind am 22.11, 26.11. und 29.11. in der Schiffbau-Halle des Schauspielhaus Zürich. Weitere Spieldaten unter: www.schauspielhaus.ch
Thomas Neumeyer ist seit Februar 2022 Leiter Betrieb und Kommunikation bei männer.ch