SIMG-Fachtagung zu Privilegien am 2. Juli 2021

Fachtagung-Privilegien

Dass Privilegien in der Buben-, Männer- und Väterarbeit eine wichtige Rolle spielen, ist offensichtlich. Doch was sind Privilegien eigentlich genau? Welche Bedeutung haben sie in der Männerarbeit? Wie geht man damit um und was kann man konkret tun? Um diese und andere Fragen, sowie die kritische Auseinandersetzung damit, ging es bei der 4. SIMG-Fachtagung, zu der männer.ch mit seiner Fachstelle – dem Schweizerischen Institut für Männer- und Geschlechterfragen SIMG – für Freitag, den 2. Juli 2021 eingeladen hatte.

Der Workshop fand pandemie-bedingt in kleinerem Rahmen statt: Neben mir waren 14 Fachmänner der Buben-, Männer- und Väterarbeit der Einladung gefolgt, ihren persönlichen und professionellen Umgang mit Privilegien zu reflektieren.

Wo bin ich in Bezug auf gesellschaftliche Privilegien verortet und was macht das mit mir?

Hannes Rudolph und Rahel El-Maawi  leiteten den Workshop. Hannes ist Psychologe, Theaterregisseur sowie Trans- und Queeraktivist. Rahel ist Bewegungsforscherin und social justice Trainerin sowie Mitgründerin von Bla*Sh. Als einzige Vorgabe für die Vorbereitung und Gestaltung des Workshop hatten sie als Leitfrage bekommen:

Was müssen (männliche weisse) Fachleute der Jungen-, Männer-, Väterarbeit wissen / spüren / erfahren, um möglichst angemessen mit Privilegien umgehen zu können?

Als Fachleute müssen wir uns intensiver und (selbst-)kritischer mit Fragen der Privilegierung auseinandersetzen. Aktuelle gesellschafts­politischen Veränderungen – Stichworte: #MeToo, Ehe für alle, BlackLivesMatter – sind für unsere Arbeit von Bedeutung. Auf der anderen Seite gilt es festzustellen: Unsere Männerarbeit ist in der Regel Arbeit mit weissen, meist bildungsnahen und heterosexuellen Cis-Männern. Daher ist klar: Eine Auseinandersetzung mit unseren eigenen Privilegien und blinden Flecken ist notwendig. Und genau darum ging es im ersten Teil des Workshops. Welche Privilegien gibt es überhaupt in unserer Gesellschaft? Welche Privilegien geniessen wir selber,  mit welcher Perspektive schauen wir darauf und was macht das mit uns?

Perspektiven Privilegien

Wir erkundeten in Kleingruppen und tauschten uns zu unseren Privilegien und unsere Sicht darauf aus. Diese Erkundung brachte für mich Erstaunliches zum Vorschein: Die Zahl der Privilegien ist weit grösser, als ich angenommen hatte. Und es gibt Privilegien, an die ich nie gedacht hätte. Wenn man Privilegien benennen soll, fallen einem schnell Sachen ein wie die wirtschaftlichen Verhältnisse, körperliche und geistige Gesundheit, Race und Herkunft sowie Gender. Darüber hinaus gibt es viele, auf die ich nicht gekommen wäre: z. B. die Art des Arbeitsverhältnisses, der Aussicht auf eine Erbschaft oder dem Freizeitverhalten.

Auffallend dabei: die Privilegien, die man selber geniesst, kennt man in den meisten Fällen nicht. Sie prägen unsere Perspektive, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Bewusst wird uns ein Privileg vor allem dann, wenn wir es nicht geniessen. Eines der grössten Privilegien ist somit, sich über Privilegien keine Gedanken machen zu müssen. Wer der gesellschaftlichen Norm entspricht, ist privilegiert.

Der Austausch in den Gruppen mit anderen Teilnehmenden war, auch aufgrund der Vielfalt bezüglich Arbeitsfeld, kulturellem Hintergrund und Erfahrungen, sehr spannend.

Privilegien prägen unsere Perspektive, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Bewusst wird uns ein Privileg vor allem dann, wenn wir es nicht geniessen. Eines der grössten Privilegien ist somit, sich über Privilegien keine Gedanken machen zu müssen.

Hannes und Rahel zeigten zudem, dass man innere, äussere und organisatorische/institutionelle Privilegien unterscheiden kann und dass es verschiedene « Strategien » im Umgang mit Privilegien gibt (vom Negieren, über Abwehr, Scham, Schuld bis zur Anerkennung). Diese grundlegende Auseinandersetzung mit eigenen Privilegien war sehr wichtig und hilfreich.

Privilegien, Geschlecht und Race

Mit diesem Grundwissen ausgestattet ging es im zweiten Teil des Workshops spezifisch um Privilegien in den Bereichen Geschlecht und Race. Hannes sorgte für eine Klärung von wichtigen Begriffen und Dimensionen im Thema Geschlecht. Wir betrachteten die normative und expansive Ausprägungen in den verschiedenen Dimensionen. Diese Grundlagen ware eine wichtige und hilfreiche Orientierung.

Anschliessend beleuchteten wir in Kleingruppen, worüber sich Menschen, die der Norm entsprechen, keine Gedanken oder Sorgen machen müssen und welche Erfahrungen, Ängste, Benachteiligungen und Diskriminierungen wir uns in der expansiven Gruppe vorstellen können.

Mit Rahel tauchten wir in das rassismuskritische Denken ein. Es ging um Rassismus, die Verknüpfung von Vorurteilen und Macht, die Merkmale rassistischer Zuschreibungen, Privilegien von Weissen und die Entstehung von Diskriminierung. Auch hier zeigte sich, dass wir uns der Mehrheit unserer Privilegien nicht bewusst sind. Das ist jedoch eine wichtige Voraussetzung, gerade für Fachpersonen, um adäquat dazu arbeiten zu können.

Offenheit und der Wille, sich mit den eigenen blinden Flecken zu beschäftigen, ist zentral.

Verbündete sein

Rahel zeigte uns auch den wichtigen Unterschied zwischen « helfen wollen » und « Verbündete sein ». Wichtigste Erkenntnis für mich: Als nicht Betroffener, frei von (Diskriminierungs-)Erfahrung helfen zu wollen, ist im besten Fall nutzlos, oft aber auch schädlich. Man hat schlicht keine Ahnung, um was es eigentlich geht. Selbst wenn man sich seiner Privilegien bewusst ist (was in vollem Umfang unwahrscheinlich ist – siehe oben), hat man keine Ahnung, wie es ist, sie nicht zu haben. Viel wichtiger und wirksamer ist es, sich mit Betroffenen zu verbünden. Und zuhören zu können ist eine der wichtigsten Fähigkeiten dafür.

Was bedeutet all das für uns als Fachpersonen in der Arbeit mit Angehörigen von marginalisierten Gruppen? Wichtig ist, dass man sich der eigenen Privilegien bewusst ist, um sich überhaupt angemessen damit auseinandersetzen zu können. Ein guter erster Schritt dazu ist, das Wissen jener einzubeziehen, die sich für weniger privilegierte Männer einsetzen und deren Arbeit zu unterstützen. Offenheit und der Wille, sich mit den eigenen blinden Flecken zu beschäftigen, ist zentral.

Der 5-Punkte-Plan der Aktivistin und Komikerin Franchesca Ramsey (aka chescaleigh) dazu sieht so aus:

Privilegien verbündete

Für mich war es ein sehr lehrreicher Workshop mit spannendem Austausch und vor allem konkreten Ansätzen für meine Arbeit. Und ich freue mich auf die nächste Ausgabe des SIMG-Fachtags.

Herzliche Grüsse

P. S. Der nächste Fachtag findet statt am 21. Januar 2022 zum Thema « Detox Masculinity – und dann…?! ». Merk dir den Termin vor. Einladung und Programm folgen in Kürze. Soviel sei verraten: Markus Theunert und Valentin Kilchmann haben vier hochkarätige Referent_innen aus Deutschland und der Schweiz für den Fachtag gewinnen können…

Reto Kessler
Leiter betriebliche Väterarbeit bei männer.ch | Website

Reto arbeitet seit März 2021 für männer.ch. Als Leiter vom Väternetzwerk Schweiz ist er für die Kursangebote sowie die Entwicklung und Umsetzung der betrieblichen Väterarbeit zuständig. Daneben ist er als Organisationsberater tätig. Reto lebt mit seiner Familie in der Ostschweiz.

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