
Der Flirt mit militarisierter Retro-Männlichkeit ist gefährlich. Wir brauchen ein neues Verständnis von Wehrhaftigkeit.
Die westlichen Gesellschaften haben innert 50 Jahren eine Revolution durchlebt. Noch bis in die 1970er-Jahre brauchten Frauen in der Schweiz die Zustimmung ihres Gatten, wenn sie ein Konto eröffnen oder Erwerbsarbeit ausüben wollten. Der Mann war das Oberhaupt der Familie. Die zweite Welle der Frauenbewegung stiess nach 1968 Umwälzungen an, in sich denen diese Gewissheiten auflösten. Bislang von Männern ganz selbstverständlich beanspruchte Machtpositionen und Privilegien wurden sicht- und dadurch hinterfragbar. Wann ist ein Mann ein Mann?
Männlichkeit ist kein biologisch Gegebenes, sondern soziale Konvention und Leistung. Männer, die das wissen, wird die Erkenntnis eher inspirieren als bedrohen. Ohne sie ist jede Infragestellung von Männlichkeit eine Provokation. Frevel an der Natur. Eine Kriegserklärung. Es stimmt: Wir haben zu lange ausgeblendet, was sich an Ressentiments angestaut hat in all den Männern, die im Spüren und Kümmern ihre Männlichkeit zu gefährden fürchten. Diese Ressentiments sind das Reservoir, aus dem Rechtsextreme auf dem ganzen Globus schöpfen, um die Herrschaft des Prinzips Ungleichwertigkeit durchzusetzen. Sie profitieren von Angst und Chaos. Deshalb säen sie Angst und Chaos. Sie wissen: Wenn die Welt unsicher wird, wünschen sich die Menschen das Altbekannte zurück. So wird die Sehnsucht nach dem starken Mann strategiegeleitet genährt. Krieg ist der Jungbrunnen des Patriachats. Und wir laufen Gefahr, den Kriegstreibern auf den Leim zu gehen.
Wehrhaftigkeit neu gedacht
Ja, natürlich müssen wir uns wehren, wenn wir angegriffen werden. Ja, natürlich braucht es eine verbindliche Klärung, wie wir Wehrhaftigkeit stärken. Bloss: Wehrhaftigkeit ist nicht Kraftmeierei. Sondern innere Stärke. Resilienz, die durch Verbundenheit wächst. Wir brauchen lebensbejahende Konzepte von Wehrhaftigkeit statt den todbringenden Flirt mit militarisierter Retro-Männlichkeit.
Dafür ist es nicht hilfreich, die Bedrohung grösser zu machen als sie ist. Denn: Es gibt kein Pendel, das zurückschlägt, wie gern suggeriert wird. Es gibt keine kulturelle Transformation in Richtung Alphamännlichkeit. Es gibt bloss einen Haufen privilegierter weisser Männer (und eine durchaus bedenkliche Zahl an Nachahmern und Komplizen), die uns mit Macht, Geld und Gewalt glauben machen, sie seien stark und sie seien viele.
In den USA sind die Folgen real, bei uns (noch) symbolisch. Wir gewinnen den Psychokrieg, indem wir nicht ängstlich erstarren, sondern nüchtern, beherzt und verbunden bleiben. Saust ein Pendel nach dem Kipppunkt in die Gegenrichtung, wird es zerschlagen, was sich ihm in den Weg stellt. Die Ohnmacht ist im Pendel-Bild angelegt und verführt dazu, sich dem scheinbar Unvermeidlichen fügen zu wollen. Deshalb tut eine geschärfte Analyse Not. Ihr Kernbefund: Es gibt keinen geschlechterpolitischen Pendelausschlag. Es gibt zwar viel Bewegung, ja. Aber die verläuft nicht unidirektional, sondern – wie die Publizistin Susanne Kaiser («Backlash») diagnostiziert – als parallele Polarisierung.
Muskelspiele verstecken Bedürftigkeit
Es ist ein globaler Trend: Immer mehr insbesondere junge Frauen fordern immer eindringlicher nachhaltige feministische Alternativen zum spätkapitalistischen Patriarchat. Immer mehr insbesondere junge Männer sind von den vorgebrachten Egalitätsansprüchen überfordert. Statt sich mit kritisch mit (erwiesenermassen gewaltförderlich und gesundheitsschädigend wirkenden) Männlichkeitsnormen auseinanderzusetzen, streben sie gen verklärtes Gestern. Zurück zu einer Geschlechterordnung, in der Männlichkeit unhinterfragt und Männer in ihrer gesellschaftlichen Dominanzposition unangefochten waren. Das ist auch ein Appell, endlich brauchbare Orientierung und Unterstützung zu erhalten, wie man(n) ok mit der gegenwärtigen Konkurrenz widersprüchlichster Männlichkeitsimperative umgehen kann.
Frieden beginnt im Kopf. Lassen wir uns nicht einschüchtern von den aufgeplusterten Testosteronis. Sie verwechseln Muskelspiele mit Stärke. Sehen wir sie als das, was sie sind: Maulhelden, die sich durch ihre Verletzlichkeit und Bedürftigkeit – also durch ihr Menschsein – existenziell bedroht fühlen. Solange wir ihnen trotz allem mit Empathie begegnen, verlieren sie ihren (Kultur-)Kampf.
Dieser Text ist am 26. März 2025 auf CH Media veröffentlicht worden.
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Markus war 2005 bis 2015 Gründungspräsident von männer.ch. Seit 2016 ist er Gesamtleiter von männer.ch und in dieser Funktion auch Leiter des nationalen Programms MenCare Schweiz. Daneben ist er mit seiner Social Affairs GmbH als Organisations- und Strategieberater tätig. Er lebt mit seiner Familie in Zürich.