Im Projekt Talk about Pornography haben wir den aktuellen Stand des Wissens zusammengetragen, wie Jugendliche Pornografie heute nutzen. Der Bericht zeigt auf, warum es wichtig ist, dass Eltern und Fachpersonen mit Jugendlichen Gespräche über das Thema führen und was es braucht, damit diese gelingen.
Die gute Nachricht vorneweg: Pornokonsum führt nicht zu sexueller Verwahrlosung von Jugendlichen. Pornografie ist heute leicht zugänglich und unbeschränkt verfügbar, die Nutzung zur alltäglichen Praxis geworden. Trotzdem ist die gesellschaftliche Sorge, dass Pornokonsum von Jugendlichen zu fehlender Selbstkontrolle und unreflektierter Übernahme der Pornoscripts führe, mit Blick auf empirische Untersuchungen weitestgehend unbegründet. Das zeigen Studien wie «Porno, Sex und Männlichkeit» (Winter 2022) oder «What do boys do with porn» (Schmidt & Matthiesen 2011).
Die enorme Verbreitung von Pornografie steht in scharfem Kontrast zur Befangenheit im Sprechen über sie. Unser Projekt «Talk about Pornography» will die Kompetenz von Eltern und Fachpersonen stärken, mit Jugendlichen in angemessener Weise über Pornografie zu sprechen. Dabei versucht männer.ch, den Diskurs zu versachlichen und sowohl Risiken als auch Potentiale aufzuzeigen. Die Wissensübersicht «Jugend und Pornografie» trägt die Fakten zusammen und zeigt auf, welche Angebote es heute in der Schweiz gibt und welche es braucht.
Die Fakten
Wie viele? Rund die Hälfte aller Jugendlichen kommt im Alter zwischen 11 und 14 Jahren zum ersten Mal mit Pornografie in Kontakt. Etwa die Hälfte der Jugendlichen (mehrheitlich Jungen) sucht danach, die andere Hälfte (mehrheitlich Mädchen) kommt unfreiwillig damit in Berührung. Das Alter des Erstkontakts ist gesunken. Das unterstreicht, wie wichtig ein frühzeitiger und altersgerechter Dialog ist.
Wie oft? Viele Jugendliche nutzen pornografische Produkte regelmässig. Die erhobenen Zahlen schwanken je nach Befragung extrem. Eine repräsentative deutsche Studie berichtet, dass 10% der Mädchen und 33% der Jungen zwischen 14 und 20 Jahren einmal im Monat und häufiger konsumieren (Quandt & Vogelgesang 2018).
Wie werden Pornos wahrgenommen? Jugendlichen ist grundsätzlich bewusst, dass real gelebte Sexualität etwas anderes ist als die in Pornos abgebildeten medialen Inszenierungen. Als Mutprobe in der Peergroup schauen sich insbesondere Jungen «krassere» Erzeugnisse an, als sie für sich allein nutzen. Jungen masturbieren deutlich häufiger beim Betrachten pornografischer Produkte als Mädchen. Zumindest ein Teil dieser Geschlechtsunterschiede dürfte durch geschlechtsspezifische Sozialisationsdynamiken und das pornografische Angebot zu erklären sein.
Wie klischiert? Inhaltsanalysen zur Darstellung von Geschlechterrollen in der Pornografie sind rar und zeichnen ein widersprüchliches Bild. Klar ist: Mainstream-Pornografie ist voller stereotyper Darstellungen von Geschlecht. Das unterscheidet sie aber nicht grundsätzlich von nicht-pornografischen Mainstream-Filmen und Medienprodukten.
Dialogkompetenz stärken
Pornokonsum ist eine Realität. Aber wie sollen Eltern und Fachpersonen mit dieser Realität umgehen? Unser Bericht zeigt: Jugendliche erarbeiten sich heute in der Nutzung einen Umgang mit Pornografie. Auch ganz ohne die Unterstützung durch Erwachsene gelingt ihnen das gar nicht so schlecht. Also einfach weiterhin wegschauen und schweigen?
Nein! Denn es gibt durchaus Handlungsbedarf: Zum Beispiel, muss der Kontakt mit illegaler oder die Jugendlichen verstörender Pornografie als Problemfeld ernstgenommen werden. Jugendliche sollten mehr darin unterstützt werden, sich abzugrenzen gegen ungewollt gezeigte Pornografie. Andererseits müssen sie lernen, die Grenzen anderer Jugendlicher zu respektieren.
Was braucht es also, um als Eltern oder Fachpersonen mit Jugendlichen in angemessener Weise über Pornografie zu sprechen? Grundsätzlich sind folgende Punkte zu beachten:
- Ein Dialog über Pornografie ist ein Angebot von Erwachsenen. Eltern und Fachpersonen sollen gesprächsfähig werden. Inwieweit Jugendliche darauf einsteigen, entscheiden diese selbst. Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Tabuisierung der Themen Pornografie und Masturbation wird der Dialog zum Balanceakt zwischen dem Brechen eines Tabus und dem Anerkennen der Grenzen von Jugendlichen.
- Es gilt für Erwachsene, einen Dialog mit Jugendlichen über Pornografie als wirklich zweiseitig zu verstehen und zu etablieren. Wir sollten uns stets vergegenwärtigen, dass wir insbesondere in Bezug auf neue Medien auch viel von Jugendlichen lernen können.
- Gespräche über Masturbation wurden und werden von Sexualstraftäter:innen auch als Möglichkeit genutzt, einen intimen Raum zu etablieren, über den Jugendliche nicht mit Dritten sprechen (Voß 2023). Das Bewusstsein um und das Verhindern von sexualisierter Gewalt im Rahmen vermeintlicher sexueller Bildung muss auch Teil eines Projekts zur Etablierung eines Dialogs über Pornografie sein. Hier geht es um Sachinformationen und nicht um Intimität.
- Die rechtlichen Rahmenbedingungen müssen eingehalten werden. Das schliesst insbesondere aus, dass sich Erwachsene und Jugendliche gemeinsam sexuell explizites Material anschauen.
Das Fazit ist klar: Talk about porn! Darüber sprechen ist wichtig. Genauso wichtig ist aber das wie. Dafür müssen sich auch die Erwachsenen das nötige Wissen und aneignen und Dialogkompetenz entwickleln.
Detailiertere Angaben zu den Entwicklungsaufgaben von Jugendlichen in Sachen Pornografie und den Aufgaben von Eltern und Fachpersonen im Gespräch, finden sich im Bericht: «Jugend und Pornografie – Eine Wissensübersicht»
Erarbeitet mit finanzieller Unterstützung durch das Bundesamt für Sozialversicherungen (Nationale Plattform Jugend und Medien)
Thomas Neumeyer ist seit Februar 2022 Leiter Betrieb und Kommunikation bei männer.ch