Bei Lemontigerloud produzieren ein paar Freunde Spitzenunterwäsche für Männer – in Handarbeit. Ist das ein Akt der Männeremanzipation oder einfach ein kreatives Hobby?
Ein romantischer Abend, gut essen und später Zuhause beim Ausziehen eine textile Überraschung. Denn schliesslich macht eine raffinierte Verpackung Lust auf mehr. Den Reiz der Reizwäsche kennen die meisten. Doch dass es der Mann ist, der sie trägt, ist so aussergewöhnlich, dass es den meisten nicht mal in den Sinn kommt, dass das auch eine Option wäre. Kein Wunder. Denn Lingerie für den Mann existiert in den Modegeschäften schlicht nicht. Beni Brennwald hat deshalb mit ein paar Freunden das Label Lemontigerloud gegründet, das in Handarbeit sexy Männerunterwäsche produziert. Wir haben sie gefragt, wie es dazu gekommen ist und inwiefern ihre Lingerie ein Ausdruck für eine verspielte, sinnliche Männlichkeit ist?
Ihr produziert Reizwäsche für Männer. Sexy Unterwäsche mit eingearbeiteter Spitze oder transparenten Stoffen. Warum ist das ungewöhnlich?
Lemontigerloud: Wir sehen eigentlich nichts Ungewöhnliches dabei, wenn eine Person Unterwäsche tragen möchte, die ihr gefällt. In unserem Fall haben wir einfach nichts Passendes gefunden. Die Auswahl für Männer in Sachen Unterwäsche ist sehr begrenzt. Das Angebot ist eher monoton, gleichförmig und primär funktional. Es gibt schlicht kaum Optionen für Verspieltheit oder Zartheit, wenn man Unterwäsche kauft (oder aber man landet bei seiner Suche im Fetischbereich, dort liegt der Fokus aber eher auf der sexuellen Komponente und weniger auf der Alltagstauglichkeit). Deshalb haben wir Lemontigerloud gegründet. In der kommerziellen Modewelt ist Spitzenwäsche für Männer und Menschen mit Penis noch wenig vertreten und daher wirkt es wohl etwas ungewohnt. Das braucht vielleicht noch etwas Zeit.
Tragt ihr eure Lingerie auch selbst? Und inwiefern fühlt sich das anders an, als normale Unterwäsche zu tragen?
Lemontigerloud: Natürlich tragen wir unsere Unterwäsche auch selbst. Die Wahl der Kleidung trägt ja immer auch zur eigenen Identität, dem Befinden und zum Ausdruck bei. Und wenn ich mich in meinem Körper wohl fühle und achtsam mit mir umgehen möchte, dann ist handgemachte Spitzenwäsche ein schönes Kompliment dazu. Sozusagen ein textiler Ausdruck, wie es mir mit mir selber gerade geht. Da spielt es übrigens keine Rolle ob meine Unterwäsche jemand sieht. Man fühlt sich tatsächlich anders – doch das muss erlebt werden um es zu verstehen.
Zu welchen Gelegenheiten passt eure Unterwäsche?
Lemontigerloud: Ich (Beni) trage sie immer dann, wenn ich mich darin wohl fühle – im Büro, allein zuhause oder auch mal für ein Date. Generell trage ich sie aber weniger für jemand anders als für mich selbst. Bewusst ausgewählte Unterwäsche ist für mich eine Erinnerung daran, dass ich mich sanft, verspielt oder attraktiv fühle und meinen Körper mag. Und diese Erinnerung in Form eines feinen Stoffes spürt man dann eben den ganzen Tag. An andern Tagen, an denen ich einfach funktionieren muss, tut’s auch bei mir eine funktionale Boxershorts.
«Du wählst zwar deine Kleidung, aber der Markt bestimmt deine Auswahl und orientiert sich dabei an den gesellschaftlichen Rollen und Normen.»
männer.ch setzt sich dafür ein, dass Männer ihr Mannsein jenseits von einschränkenden Rollenkorsetten so leben können, wie es für sie passt. Fängt das wirklich bei den Unterhosen an?
Lemontigerloud: Es fängt nicht unbedingt bei den Unterhosen an, aber es sollte sicher nicht dort aufhören! Kleidung ist ein Spiegel dessen, wer du bist und wie du dich fühlst. Zarte Spitzenwäsche ist also auch ein Angebot, dich mit deiner zarten, verspielten Seite auseinanderzusetzen und diese – wenn du willst – auch deinem Gegenüber zu zeigen.
Der stereotype Mann zeigt sich selten zart, lieblich oder verletzlich. Darum sorgt unsere Lingerie bei vielen Männern erstmal für Irritation. Wir verstehen, dass unsere Unterwäsche somit auch ein Statement für eine vielfältige und nicht-stereotype Männlichkeit sein kann. Es liegt in diesem Bereich noch so viel Arbeit vor uns, da sollten wir jede Einladung zur Selbstreflektion und kritischen Auseinandersetzung annehmen.
Ist Reizwäsche für den Mann nicht ein weiterer Schritt hin zum Selbstoptimierungszwang? Müssen jetzt auch Männer immer sexy aussehen? Oder anders gefragt: Sind abgewetzte Boxershorts nicht ein Statement gegen den Schönheitswahn?
Lemontigerloud: Nein. Unsere Lingerie ist ein Angebot zur bewussten Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbstverständnis – in einem Bereich wo diese Möglichkeiten bislang fehlen. Du wählst zwar deine Kleidung, aber der Markt bestimmt deine Auswahl und orientiert sich dabei an den gesellschaftlichen Rollen und Normen. Es braucht alternative Ideen und Auswahlmöglichkeiten für eine vielfältige Gesellschaft in der wir alle Platz haben. (Da passen übrigens auch die abgewetzten Boxershorts rein.)
Ihr näht eure Lingerie selber und seid ganz klar Exoten in einer Frauendomäne. Wie fühlt sich das an?
Lemontigerloud: Der Geschlechterunterschied und die Stereotypen der Branche führen zwar zwischendurch zu Irritationen, doch meistens sind die Gemeinsamkeiten grösser. Wir sehen einen Sinn in unserer Arbeit. Wir lernen täglich dazu, pflegen bereichernde Kontakte und wir lieben was wir tun. Das fühlt sich vor allem einfach gut an.
Das Handwerk haben wir uns mit Hilfe einiger lieben Menschen selber beigebracht. Wir haben inzwischen auch eigene Schnittmuster entwickelt, die wir fortlaufend verbessern und erweitern. Eigentlich war mal geplant, mit externen Schneider:innen und Produktionsstätten zusammenarbeiten, doch wir haben es irgendwie nicht geschafft, unsere Vorstellung punkto Design zu vermitteln. Also haben wir uns selber reingekniet und nach einem knappen Jahr Entwicklungszeit nun den Shop aufgemacht. Wenn wir mal genug Anfragen haben, dass wir mit der Eigenproduktion nicht mehr nachkommen, werden wir uns sicher wieder nach geeigneten Partner:innen umsehen (solang unsere qualitativen und ökologischen Standards eingehalten werden können). Das Nähen macht uns zwar riesigen Spass, aber eigentlich wollten wir einfach Unterwäsche tragen, die uns gefällt. Jetzt ist irgendwie eine Marke daraus geworden. Mal schauen was die Zukunft bringt!
Ökologische Männerlingerie
Lemontigerloud wurde Anfang 2023 gegründet. Neben dem Look wird auch Wert auf lokale und ökologische Produktion gelegt. Die Stoffe stammen aus Überproduktion, die andernfalls entsorgt wird und die Spitze aus Restposten St. Galler Spitzen. Die Gummibänder stammen nach Möglichkeit aus recyeltem Elastan.
Thomas Neumeyer ist seit Februar 2022 Leiter Betrieb und Kommunikation bei männer.ch