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Das Nestmodell – Was es im unkonventionellen Betreuungsmodell zu gewinnen gibt

Im Buch «Unser Nestmodell» von Corinne Lauber erzählen Eltern, was es braucht, um nach einer Trennung weiterhin ein gemeinsames Zuhause mit den Kindern zu teilen – und warum es sich lohnen kann.

«Familie» bedeutet für viele: Gemeinsames Zuhause, geteiltes Ehebett und Sonntagsausflüge mit den Kindern. Doch was, wenn die Paarbeziehung zerbricht? Wer Kinder hat, bleibt auch nach einer Trennung als Familie verbunden. Aber mit dem gemeinsamen Zuhause ist es dann vorbei… oder etwa doch nicht?

Beim «Nestmodell» bleiben die Kinder nach einer Trennung in der Familienwohnung oder im Familienhaus wohnen, während sich die Eltern eine Wohnmöglichkeit anderswo, «im Aussen» organisieren. Alternierend werden die Kinder von je einem Elternteil an festgelegten Tagen im Familiennest betreut. Das heisst: Während dieser Zeit wohnt die Mutter oder der Vater vor Ort mit den Kindern im Nest, man lebt den Familienalltag gemeinsam. Sind die Betreuungstage um, wechseln die Eltern die Rolle. Der grosse Vorteil des Nestmodelles ist offensichtlich: Die Kinder bleiben in ihrem gewohnten sozialen Umfeld wohnen und müssen nicht zwischen zwei Wohnorten hin und her pendeln. Diesen manchmal recht anstrengenden Part übernehmen die Eltern.

Im Buch «Unser Nestmodell – ein Ratgeber für Paare in Trennung» teilt die Autorin Corinne Lauber ihre Erfahrung aus neun Jahren Nestmodell und lässt weitere Eltern und ihre Kinder offen und ehrlich darüber erzählen – vom Beginn der Trennung bis zum gelebten Alltag. Auch Fachpersonen wie eine Kinderpsychologin, ein Mediator und ein Scheidungsanwalt kommen zu Wort.

Lauber ist überzeugt: Das Nestmodell legt eine gute Basis für eine gleichwertige Elternschaft, in der Vater und Mutter ihre Rolle als Eltern (weiterhin) partnerschaftlich wahrnehmen können. Doch wie funktioniert nun dieser Alltag rein praktisch? Wo leben die Eltern, wenn sie nicht im Nest sind? Was bedeutet das Ganze finanziell? Und selbst wenn man sich die Wohnung ausschliesslich zeitverschoben teilt: Wie geht man damit um, immer wieder energetisch mit der Präsenz des anderen konfrontiert zu sein? Und vor allem: Wie gelingt es, dass ein Elternpaar trotz seelischer Verletzungen den Fokus auf das Gute und Verbindende legen und nach gemeinsamen Lösungen suchen kann?

Das sind alles Herausforderungen, mit denen Eltern, die das Nestmodell leben möchten, konfrontiert sind. Vor allem die Anfangsphase, wo Vieles geklärt und organisiert werden muss, beschreiben alle Eltern als schwierig. Die Liebesbeziehung ist zwar beendet, aber die emotionalen Probleme und Verletzungen sind damit nicht automatisch vom Tisch. Es braucht ein grosses Mass an psychischer Reife von beiden Elternteilen, einander gerade in dieser Zeit respektvoll und auf Augenhöhe zu begegnen. Denn: Wenn die gemeinsame Zeit als Paar endet, entstehen auf beiden Seiten Verletzungen. Wut, Trauer und auch Angst, wie die Zukunft als getrennte Eltern sein wird, sind bei beiden ein Thema – und zwar egal, wer wen verlassen hat.

Urs, der ehemalige Partner der Autorin beschreibt seine Gefühle so: «Ich erinnere mich noch gut an den Tag, als Corinne zu mir sagte: ‚Urs, ich will mich trennen.‘ Es war ein Schock! Was wird aus unserer Familie, unseren Kindern, unserem gemeinsamen Haus? Es war doch alles wie im Bilderbuch – oder doch nicht ganz? Trotz Schmerz und Trauer, eines war für mich klar: Ich habe ja gesagt zu unseren drei Kindern, zu meiner Rolle als Vater. Die Trennung konnte ich nicht verhindern. Klar war aber immer: Ich wollte Vater bleiben. Mindestens 50 Prozent da sein. Denn Kinder brauchen einen Vater und eine Mutter, zwei Bezugspersonen, die beide gleich wichtig sind – jede auf ihre Art. Die Möglichkeit einer guten Beziehung zu beiden Elternteilen zu haben, ist ihr Geburtsrecht. Der Begriff «Bevaterung» existiert nicht im Duden, «Bemutterung» hingegen schon. Beides ist wichtig für die Kinder. Auch Väter haben eine Verantwortung für ihre Töchter und Söhne. Schmerz und Wut sind kein Grund abzuhauen.»

Natürlich kommt es in diesem Moment auch darauf an, wie die Mutter in dieser Situation reagiert. Vielleicht fühlt sie sich bedroht und sagt: «Nestmodell? Das kommt mir nicht in die Tüte, das will ich nicht.» Denn gerade, wenn sie vor der Trennung in Sachen Kinderbetreuung hauptzuständig war, kann der väterliche Wunsch nach mehr Betreuungszeit für sie bedeuten, einen Teil dessen abzugeben, worüber sie sich (je nachdem) über Jahre hinweg definiert hat. Dann ist es wichtig, dass man sich Hilfe holt. Eine Mediation kann helfen, die Folgen einer Trennung einvernehmlich, selbstbestimmt und kinderkompatibel zu regeln. Dazu schreibt die Autorin: «Es zeugt von persönlicher Reife, wenn man sich eingesteht, dass man Unterstützung braucht und sie sich auch holt. Das gilt für jedes Betreuungsmodell nach einer Trennung und beim Nestmodell ganz besonders.»

Viele Männer in Trennung leiden am meisten darunter, dass sie viel für die Familie und die gemeinsame Zukunft investiert haben, es diese gemeinsame Zukunft – zumindest auf Paarebene – aber nicht mehr gibt. Noch dazu können sie oftmals weniger Zeit mit dem/n Kind/ern verbringen als gewünscht. Sich in diesem Schmerz mit der Ex-Partnerin auf ein unkonventionelles Betreuungsmodell einzulassen, erfordert Arbeit und den Mut, sich selber zu hinterfragen.

Dazu noch einmal Urs: «Ich habe mich ganz bewusst mit mir selbst auseinandergesetzt und mich gefragt, wo bin ich verletzt worden, wo bin ich wütend, wo ist mein Anteil am Ganzen und wo liegen meine Schattenseiten. Durch meine berufliche Karriere kam ich oft spät nach Hause, war abends wenig präsent. Ich habe mir immer gesagt, dass ich ja am Wochenende «ganz da» sei. Heute ist mir klar: Die gemeinsame Zeit mit meinen Töchtern und meinem Sohn ist etwas vom Wertvollsten in meinem Leben. Etwas Nachhaltiges, etwas, das Mann nicht nachholen kann. Es ist die Chance, ganz für die eigenen Kinder da zu sein. Obwohl ich brutal aus meiner Komfortzone rausgeworfen wurde, habe ich dabei viel gewonnen. Insofern kann ich sagen, dass das Nestmodell ein guter Entscheid war, vielleicht der beste und wichtigste in meinem Leben.»

Das Buch ist auch ein guter Ansatzpunkt, um stereotype Bilder von Familie zu überdenken. Es bietet eine Auseinandersetzung mit den sozial-gesellschaftlichen Herausforderungen neuer Wohn- und Familienformen. Das Familienrecht hinkt der gesellschaftlichen Realität hier hinterher. Es ist an der Zeit, über andere Formen des Zusammenlebens nachzudenken und Bedingungen zu schaffen, die alternative Formen der Kinderbetreuung möglich machen – das Nestmodell wäre dann eine gute Option unter vielen.

Hier gehts zum Buch

Thomas Neumeyer

Thomas Neumeyer ist seit Februar 2022 Leiter Betrieb und Kommunikation bei männer.ch

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