Ist ein Kaufverbot für sexuelle Dienstleistungen das geeignete Mittel, um Gewalt und Ausbeutung in der Prostitution zu begegnen? Oder verlagert sich das Problem nur in den Untergrund? Es ist Zeit, genauer nachzufragen und herauszufinden, was Männer im Bordell alles suchen.
Prostitution ist ein Problem, und es ist wichtig, darüber zu sprechen. Ich kann auch den politischen Impuls verstehen, Prostitution verbieten zu wollen, die mit Gewalt und Ausbeutung oft schwer erträgliche Folgen hat. Wenn wir aber nur das Symptom bekämpfen und die Ursachen unbearbeitet lassen, wird das Problem nicht gelöst, sondern dorthin verschoben, wo das Leid noch schwerer zu verhindern und lindern ist – in den Untergrund.
Im Sommer 2014 war ich Teil einer Studiengruppe, die sich vor Ort ein Bild über die Wirksamkeit des schwedischen Sexkaufverbots machte. Der «Sex purchase act» ist seit 1999 in Kraft und wird als Erfolgsgeschichte verkauft: weniger Strassenprostitution, keine Verlagerung, traumhafte Zustimmungsraten in der Bevölkerung. Ob das stimmt, wollten wir überprüfen. Es war eine lehrreiche Reise. In meinem Bericht formulierte ich: «Für die Mitte der schwedischen Gesellschaft hat Prostitution – für Frauen und Männer gleichermassen – keinerlei Charme und mit Sex nichts zu tun. Wirklich gar nichts. Prostitution ist Gewalt. immer und in jedem Fall. Nämlich eine Veräusserung des eigenen Körpers und damit Gewalt an sich selbst.» In dieser Logik ist die Prostituierte kein autonomes Subjekt mehr, sondern Opfer ihrer Lebenslage – und der Freier nicht mehr Kunde, sondern Krimineller. Ich fragte Klas Hyllander vom schwedischen männer.ch-Pendant «Men for Gender Equality», wie sie das denn in Schweden organisieren mit dem schnellem unverbindlichen Sex. Er weigerte sich, meine Frage zu beantworten. Denn: Prostitution habe nichts mit Sex zu tun – und damit auch nichts mit dem Bedürfnis nach schnellem unverbindlichem Sex.
Ist gekaufter Sex kein Sex mehr?
Das war für mich ein Augenöffner. Bis heute fasziniert mich, in welcher Konsequenz die Menschen in Schweden – zumindest die privilegierten – den Perspektivenwechsel vollzogen haben. Doch stimmt das auch wirklich? Ist gekaufter Sex so sehr Gewalt, dass er kein Sex mehr ist? Dass die Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen immer auch grenzverletzend ist, Spuren hinterlässt und seelische Schäden verursacht, patriarchale Machtverhältnisse reproduziert und männliche Dominanzbedürfnisse befriedigt: Da gehe ich mit. Aber dass der gekaufte Sex deswegen kein Sex mehr ist? Für mich klingt das nicht grad plausibel.
Klar, Prostitution ist kein Markt wie jeder andere und Sex kein normales Konsumgut. Weil er die Anbietenden gefährdet. Und weil die Nachfragenden – ähnlich wie auf dem Drogenmarkt – konsumieren, auch wenn die Kosten explodieren.
Ob ich damit sagen will, dass Männer von Sex abhängig sind? Ich muss kurz ausholen: So wie wir Jungs zu Männern machen, müssen sie lernen, Bedürftigkeit zu überspielen oder auszublenden. In den Arm genommen werden wollen, Trost suchen, kuscheln: All das steht im Konflikt zum Leitbild des souveränen, selbstgenügsamen Mannes. Es gibt eine Ausnahme, in der Nähe, Verbindung, Hingabe und Verschmelzung als «männlich» gelten: Sex. Deshalb lernen Männer, alle möglichen Bedürfnisse sexuell zu deuten. Und in diesem Sinn sind viele Männer tatsächlich von Sex abhängig: Nicht weil es in ihrer Natur liegt, sondern weil sie es nicht anders gelernt haben.
Was alles suchen Männer im Bordell?
Gleichzeitig ist es kompliziert geworden, das Aushandeln sexueller Begegnungen. Zum Glück haben wir als Gesellschaft die Zeit überwunden, in denen sich Männer (zumindest die mit Status) ohne zu fragen nehmen durften, was sie sexuell begehren. Die Zahlen legen jedoch nahe, dass sich die Verhältnisse schneller weiterentwickeln als die Männer. Es ging ja kein Ruck durch die Gesellschaft, der männliche Emanzipation fördert und Männer in der Entwicklung ihrer emotionalen und sozialen Kompetenzen unterstützt. Es gibt bloss den unablässig wiederholten Anstandsappell, den viele Männer reflexhaft an sich abperlen lassen. Ich bedaure das, kann sie aber verstehen. Denn sie nehmen ganz realistisch wahr: Was sie brauchen, ist der Gesellschaft erst mal egal. Es gibt keine Bereitschaft, das historisch privilegierte Geschlecht des Verlusts seiner Privilegien wegen zu bedauern. Empathie für männliches Leiden ist nicht realistisch. Ist es da wirklich realistisch, dass der Anstandsappell «dank» Strafandrohung plötzlich funktioniert? Für mich klingt das genauso unplausibel.
Wenn ein Sexkaufverbot tatsächlich funktionieren soll, müssen wir zuerst die Ursachen bearbeiten, die zur Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen führen. Eine zentrale Facette dieser Analyse ist die Frage: Was genau und was alles suchen Männer im Bordell? Wie könnten sie anders damit umgehen? Und welche Kompetenzen und Rahmenbedingungen brauchen sie dafür?
Klar ist: Jungen und Männer brauchen mehr emotionale Bildung und eine Gesellschaft, die ihnen das ganze Spektrum menschlicher Gefühle und Empfindungen zugesteht. Sie brauchen mehr sexuelle Bildung und eine Gesellschaft, die Sexualität als Form der Verbindung und Begegnung wertschätzt, als Ausdruck von Lebendigkeit, als Geschenk (und nicht als Leistung, Konsumgut, Egoshooter oder Sünde). Dafür müssen wir endlich mehr Angebote der Bubenarbeit, Männerberatung und Väterbildung in der psychosozialen Grundversorgung verankern.
Ein nationales Forschungsprogramm Prostitution
Als Gesellschaft brauchen wir mehr Wissen, unter anderem mehr Forschung, über Freier und ihr Verhältnis zu Sexarbeiter:innen, zur Prostitution, zu Beziehungen und zur Sexualität. Wir brauchen aber noch mehr: einen verbindenden Horizont, ein gemeinsames Verständnis, was wir uns unter «gerechten Geschlechterverhältnisse» vorstellen. Dabei müssen wir uns auch an grundsätzlichere Fragen jenseits quantitativer Umverteilung wagen. Beispielsweise, wie wir Sex so organisieren, dass alle macht-, ausbeutungs- und gewaltfrei leben können, was sie erfüllt.
Das sind komplexe Fragen, die kleinteilig nicht zu klären sind. Ich denke, es ist Zeit für ein ambitioniertes nationales Forschungsprogramm!
Dieser Blogbeitrag ist eine Antwort auf den Artikel «Soll der Kauf von Sex in der Schweiz verboten werden?», der am 12.07.23 im Tagesanzeiger publiziert wurde.
Beitragsbild: Mathieu Stern, unsplash
Markus war 2005 bis 2015 Gründungspräsident von männer.ch. Seit 2016 ist er Gesamtleiter von männer.ch und in dieser Funktion auch Leiter des nationalen Programms MenCare Schweiz. Daneben ist er mit seiner Social Affairs GmbH als Organisations- und Strategieberater tätig. Er lebt mit seiner Familie in Zürich.