Im neuen Blog «Uroversum» von männer.ch informiert Urologe Dr. med. Sergej Staubli kurz und prägnant über Männergesundheit. Im Interview erzählt er uns, warum er diesen Blog initiiert hat und warum Männer meist mehr über Muskeln als Hormone wissen.
männer.ch: Wann sollte ein Mann zum Urologen?
Staubli: Zur Vorsorge von Prostatakrebs ist eine präventive Untersuchung ab 50 empfohlen; bei familiärer Vorbelastung ab 45. Aber in der Urologie geht es ja nicht nur um Prostatakrebs. Generell gilt: Bei Beschwerden am Genital- oder Harntrakt nicht lange zögern, sondern einen Termin vereinbaren.
männer.ch: Und gehen Männer auch tatsächlich zum Urologen, wenn es nötig ist?
Staubli: Wegen Schamgefühlen und falschen Vorstellungen leider oftmals zu selten oder zu spät. Dabei ist ein Gesundheitscheck ratsam, erst recht, wenn eine Krankheit frühzeitig erkannt und mit minimalem Aufwand behandelt werden kann. Vorsorgeuntersuchungen – wie es die Frauen machen – werden viel zu selten durchgeführt. Und ich erlebe auch häufig, dass Männer erst dann zu mir kommen, wenn der Leidensdruck bereits sehr hoch ist. Oft ist es auch so, dass Frauen bemerken, dass ihre Männer Probleme haben beim Wasser lassen oder nachts oft aufstehen und aufs Klo müssen. Die sagen dann irgendwann: «Jetzt musst du mal zum Arzt». Das hat natürlich dann auch viel mit männlichen Körperbildern zu tun: Die Maschine muss laufen und wenn‘s weh tut, beisst man halt auf die Zähne.
«Das männliche Genitale ist ein Tor zur Seele. Wenn man darüber reden kann, dann geht es tief.»
männer.ch: Männer wissen weniger über den männlichen Körper als Frauen über den weiblichen – Klischee oder ist da was dran?
Staubli: Ich glaube, das ist ein Klischee. Männer wissen nicht weniger über ihren Körper, haben aber oft ein anderes Körperbild. Sie wissen oftmals mehr über Muskulatur oder körperliche Ausdauer. Frauen wissen im Allgemeinen mehr über den Einfluss von Hormonen. Das ist auch verständlich. Wenn man den Einfluss hormoneller Schwankungen im monatlichen Zyklus spürt, wird man sensitiver und informiert sich besser. Auch bei Männern können hormonelle Unterfunktionen auftreten. Sie blenden es aber oft aus, weshalb dies dann zu spät erkannt wird.
männer.ch: Geht es, wenn es um den Penis geht, wirklich auch immer ein bisschen um Männlichkeit?
Staubli: Wenn es um die genitale Gesundheit geht, ist es immer extrem intim. Das ist sicher auch bei Frauen so. Aber klar, wenn es um den Penis und die sexuelle Funktion geht, gilt: Wenn es hier nicht mehr ganz so funktioniert, wie es sollte, wird es sehr emotional. Das hat nicht nur einen grossen Einfluss auf die Sexualität, sondern auch auf das Selbstwertgefühlt, die allgemeine Zufriedenheit und die Paarbeziehung. Und damit gibt es einen starken Bezug zum Thema Männlichkeit. Und wenn dann noch Scham dazu kommt, über urologische Themen zu sprechen, werden Probleme oft grösser, als sie sein müssten.
männer.ch: Mit diesem Interview starten wir deinen Blog «Uroversum». Warum sollten Männer mehr über urologische Themen wissen?
Staubli: Erstens, weil Wissen Leben retten kann . Zum Beispiel beim Thema Hodenkrebs, der meistens bei eher jüngeren Männern auftritt. Hier ist es wichtig, sensibilisiert zu sein. Beim Duschen ab und zu die Hoden abtasten und bei Schmerz, Vergrösserung oder Verhärtung zum Urologen. Das sind Basics, aber nicht alle kennen sie.
Zweitens: Urologische Themen betreffen nicht nur die Männer selbst, sondern oft auch die ganze Familie. Zum Beispiel, wenns um einen unerfüllten Kinderwunsch geht: Oft gehen die Frauen zur Gynäkologin oder zum Gynäkologen und machen eine Abklärung, die Männer aber nicht. Das wäre aber wichtig und es ist nicht aufwendig, sich abklären zu lassen. Oft sieht man dann: Der Körper ist gesund, zeugungsfähige Spermien sind da. Das ist als Botschaft schon mal sehr entlastend. Man kann dann die Chancen noch optimieren mit Lifestylemassnahmen wie gesunder Ernährung oder Stressreduktion. Auch bestimmte Vitaminpräparate können helfen. In anderen Fällen findet man die Ursache: Vor wenigen Wochen war ein junger Mann bei mir für eine Fertilitätsabklärung. Es hat sich gezeigt: Der Grund, dass es mit dem Baby nicht klappt, war ein unentdeckter Hodenkrebs. Ein krasses Beispiel. Aber zum Glück ist er gekommen!
Und warum sollten wir untereinander mehr über Urologisches reden?
Staubli: Gespräche bauen Scham ab. Man geht eher zum Arzt oder kriegt auch mal Tipps. Offen reden zeigt einerseits: Gewisse Dinge, die man an sich selbst beobachtet, kennen auch andere. Und wenn‘s Probleme gibt, können die Erfahrungen von andern helfen, eine Lösung oder einen Umgang zu finden. Ein anderes Beispiel ist das Thema Verhütung. Das geht Männer genausoviel an wie Frauen. Hier sollten Männer mehr Verantwortung übernehmen und sich zum Beispiel zu fragen, wann es Sinn macht, über eine Vasektomie nachzudenken, statt die Verhütung der Frau zu überlassen. Auch hier kann ein Gespräch unter Freunden helfen, das Wissen zu erweitern und Ängste abzubauen.
Ich selber bin überzeugt: Das männliche Genitale ist ein Tor zur Seele. Wenn man darüber reden kann, dann geht es tief. Täglich erlebe ich in meiner Sprechstunde, wieviel Überwindung es braucht, über urologische Themen zu sprechen und sich untersuchen zu lassen, vor allem beim ersten Mal. Deshalb verbeuge ich mich vor jedem Mann und jeder Frau (bei Themen wie Blasenentzündung, Nierenstein, Kontinenz oder Blasenkrebs sind auch Frauen betroffen), die zu mir kommen und ehrlich über ihre Beschwerden und Ängste sprechen. Weil sie so intim sind und an einen verletzlichen Punkt des eigenen Selbstverständnisses rühren, haben urologische Probleme auch einen starken Bezug zur psychischen Gesundheit. Das heisst auch: Man kann hier viel bewirken!
Sergej Staubli
Dr. med. Sergej Staubli ist Urologe mit eigener Praxis in Wallisellen. Im Blog «Uroversum» schreibt mit Humor, Fachkompetenz und dem nötigen Feingefühl über Themen der genitalen Gesundheit. Damit will er enttabuisieren und gleichzeitig Präventionshilfe leisten.