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«Wir dürfen den Kontakt zu den jungen Männern nicht verlieren»

Ab sofort packen im Vorstand von männer.ch vier neue Hände mit an. Loïc Wohlfarth und Christoph Emch erzählen im Interview, für welche Themen sie sich besonders einsetzen möchten.

Lieber Christoph, lieber Loïc. Seit gestern seid ihr gewählte Vorstände von männer.ch. Könnt ihr kurz erzählen, was ihr in eurem Rucksack mitbringt, das für uns wertvoll sein wird?

Loïc: Ich bin dank meiner Mutter mit einem positiven Bild von Feminismus aufgewachsen. Aber gleichzeitig in einem sozialen Umfeld, in dem ein stereotypes Bild von Männlichkeit vorherrschte. Ich habe in Zürich gewohnt und mich unter anderem bei «Die Feministen» engagiert. Ich kenne die aktuellen feministischen Diskurse und die Akteur*innen in der Stadt. Gleichzeitig habe ich den Kontakt zu den traditioneller eingestellten Millieus meiner Jugend nicht verloren. Ich kenne darum den Spagat, den wir heute in der Gesellschaft sehen, auch aus dem eigenen Erleben. Und dann bringe ich natürlich meinen Bezug zur Jugendarbeit mit. Ich arbeite für die OJA Zürich Nord und habe beim Verein Zischtig.ch gearbeitet, der Medienpädagogik an Schulen macht. Und ich kenne mich allgemein gut aus mit digitalen Phänomenen, gerade mit der soziokulturellen Bedeutung, die diese haben.

Christoph: Ich hoffe, dass ich mit meiner langjährigen Erfahrung die Perspektive der in der Privatwirtschaft tätigen Männer noch stärker einbringen kann. Die Perspektive der Männer, die immer zu beschäftigt scheinen. Zudem bin ich Vater zweier junger Kinder (2 Jahre und 3 Monate). Diese Kombination aus Karriere in der Privatwirtschaft und der Ambition, ein präsenter Vater zu sein, bringe ich mit.

Und umgekehrt gefragt: Was interessiert euch am Dachverband männer.ch, dass ihr euch entschlossen habt, hier eure Zeit und Energie zu investieren?

Christoph: Ich verfolge männer.ch seit den Anfängen. Vor fast fünf Jahren haben ein paar Freunde und ich gemeinsam die Grassroots-Bewegung WE/MEN gegründet, die sich im Kleinen, Alltäglichen sich für Geschlechtergerechtigkeit einsetzt. Da können wir viel bewegen. Aber richtig nachhaltig wird das Engagement, wenn wir uns auch institutionell-politisch für diese Anliegen starkmachen. Deshalb engagiere ich mich bei männer.ch

Loïc: Die grosse Fachlichkeit beeindruckt mich. männer.ch hat zu vielen Themen rund um Männlichkeit, kohärente Berichte, Konzepte und Angebote ausgearbeitet. Und ich kenne auch einige Vernetzungspartner*innen. Dieses fachliche Fundament ist mir wichtig.

Zweitens bin ich überzeugt von der Idee, dass es diesen Dachverband der progressiven Männer- und Väterorganisationen braucht. Eine Organisation die sagt: Wir setzen uns für Männer ein, aber mit ganz klar gleichstellungspolitischer Perspektive. Wir sind den Männern zugewandt, aber wir wollen das Partriarchat nicht reproduzieren, sondern echte Geschlechtergerechtigkeit voranbringen. Diese Symbolik ist stark und wichtig. Auch erlebe ich im Vorstand eine grosse politische Diversität von bürgerlich-liberal bis links. Um genderpolitische Themen vorwärtszubringen, ist das wichtig. Wir müssen Mehrheiten für unsere Anliegen finden – oder sie langsam schaffen.


Welches der männer.ch Themen liegt dir besonders am Herzen. Und was gibt es in diesem Bereich zu tun, das wir bislang noch nicht oder zu wenig gemacht haben?

Loïc: Das Projekt Faktor M zu Männlichkeit und Radikalisierung finde ich spannend. In der Arbeit mit jungen Männern merke ich, dass diese sich von Gleichstellungspolitik und den damit verbundenen Forderungen an Männer zur Veränderung oftmals in die Ecke gedrängt fühlen. Sie reagieren dann mit Abwehr und ich beobachte eine Annäherung zu Haltungen, die autoritär, frauenfeindlich und letztlich demokratiefeindlich sind. Das macht mir Sorgen und ich finde es extrem wichtig, hier den Kontakt nicht zu verlieren; im Austausch zu sein, um gegenzusteuern. Und da gibt es natürlich sehr viele Schnittstellen in den Cyberspace hinein.

Christoph: Bei mir ist es die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Sie beschäftigt mich seit zwei Jahren intensiv.

Nun zu den ganz grossen Fragen: Was sind aktuell die grossen gesellschaftlichen Herausforderungen, wenn es darum geht dem Ziel «Geschlechtergerechtigkeit» einen Schritt näher zu kommen?

Christoph: Vielleicht hätten wir das Ziel schon erreicht, wenn die Lösung in wenigen Sätzen zu beschreiben wäre. Wo ich aber grosses Potenzial ausmache: Darin, dass alle Männer – traditionelle, ambivalente und progressive – und alle Frauen mehr zusammen sprechen. 
 
Loïc: Mir kommen zwei Sachen in den Sinn. Erstens: Die Frage der Carearbeit. Frauen leisten weiterhin viel mehr Carearbeit. Je grösser aber der Anteil an Carearbeit ist, den man leistet, desto prekärer wird’s in unserer Gesellschaft. Das ist nicht nur eine Frage von traditionellen Lebensentscheiden, sondern hat ökonomische Dimensionen, die wir einfach angehen müssen.
 
Zweitens ist mir wichtig, dass Gleichstellungspolitik nicht einfach ein Thema für die Bildungsschicht bleibt. Heute habe ich das Gefühl, dass sich v.a. Leute an der Debatte beteiligen, die auf dem Weg zu Bachelor oder Master sind. Der gesellschaftliche Wandel, den wir anstreben, muss auch Männer mit weniger, Bildung oder Privilegien mitnehmen. Man muss Feminismus und soziale Klasse stimmig zusammenbringen.

Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Was bedeutet Männlichkeit für dich?

Loïc: Privilegien. Es ist unglaublich, was mir automatisch für Kompetenzen angerechnet werden, weil ich männlich bin. Das merke ich z.B. anhand von Jobangeboten. Als weisser, gut gebildeter cis-hetero Mann, checke ich sehr viele Kästchen auf der Privilegienliste. Zweitens ist Männlichkeit für mich auch ein Korsett: Die verinnerlichten Anforderungen an Männer, grenzen mich ein in einem gesunden Umgang mit anderen Menschen. Ich musste viel Selbstanalyse betreiben, um den Blick dafür zu schärfen. Das war und ist ein schwieriger Prozess. Heute finde ich es vor allem herausfordernd, den gesunden Umgang mit mir selber zu üben. Verletzlichkeit zuzulassen und dafür auch mal an Souveränität zu verlieren – das braucht Zeit.

Christoph: Ich habe mehr Freude daran, zu lernen, was Männlichkeit für mich NICHT sein muss. Oder andersrum: was sie alles sein kann. männer.ch beschreibt auf seiner Website sehr viele Eigenschaften von Männlichkeit, die mir auch wichtig sind. Würde ich selbst Männlichkeit beschreiben wollen, ich würde ihr nicht gerecht.

Thomas Neumeyer

Thomas Neumeyer ist seit Februar 2022 Leiter Betrieb und Kommunikation bei männer.ch

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