Zwei Männer fahren in einem alten Fiat Cinquecento an eine Hochzeit im Kosovo und versuchen dabei, ihrer verschütteten Freundschaft wieder auf die Spur zu kommen. Julian Schmidlis Debutroman «Zeit der Mauersegler» verbindet diesen Roadtrip mit dem Portrait eines Manns, der zu lange versucht, einer zu werden, der er nicht ist.
Der schmächtige Nino wächst als Sohn von italienischen Einwanderern in einem Dorf im Berner Oberland auf. Ein Junge, in dem ein Orchester der Gefühle spielt, der aber lernt, es mit aller Macht stumm zu halten. Ein Vater, der ihn ins Boxtraining schickt, damit er etwas härter wird und dabei übersieht, dass Nino genau das nicht ist – hart. Der Junge, der heimlich davon träumt, so cool, souverän und mutig wie sein grosses Vorbild Jean-Paul Belmondo zu sein, findet im Metzgersohn Tschügge einen Freund, mit dem er von gemeinsamen Abenteuern träumt. Als mit Leila ein Mädchen auftaucht, in das sich beide verlieben, wird die Sache kompliziert.
Jahre später ist Nino als Filmemacher in die Stadt gezogen, Tschügge als Metzgermeister in die Fussstapfen seines Vaters getreten. Als Tschügge Nino bittet, ihn als Trauzeuge zur Hochzeit mit Leila in den Kosovo zu fahren, befinden sich die ungleichen Freunde plötzlich in einem Abenteuer, wie sie es sich früher erträumt haben.
Der Roadtrip bleibt dabei die Nebenhandlung. Denn herausfordernder als Kneipenschlägereien, Autodiebstähle und Verfolgungsjagden ist der Prozess, den die beiden Männer machen müssen, um ihre Jugendfreundschaft, die vor allem aus gemeinsam verbrachter Zeit bestand, zu transformieren. Wie schwer es dem Ich-Erzähler Nino fällt, wirklich in Beziehung zu seinem besten Freund zu treten, ist berührend geschrieben. Selbstzweifel, Neid und Scham führen immer wieder zu Missverständnissen und Streit.
Freundschaft, Eifersucht, Selbstsuche, Vaterkonflikte – Julian Schmidli verwebt in seinem Roman die grossen Themen des Erwachsen- und Mannwerdens mit filmartig, schnell erzählten Actionelementen. Das ist kurzweilig geschrieben, aber manchmal auch etwas überzeichnet.
Als Ferienlektüre für alle, die gelernt haben, dass man Belmondo irgendwann begraben muss, um sich selbst zu finden, ist das Buch aber auf jeden Fall zu empfehlen.
Thomas Neumeyer ist seit Februar 2022 Leiter Betrieb und Kommunikation bei männer.ch